# 21. Bildung

Warum wird allgemeine (zweckfreie) Bildung von der speziellen (zweckgebundenen) Ausbildung verdrängt?

Selbstständiges und freies Arbeiten (wie in »# 20. Selbstständige« beschrieben) setzt Bildung voraus – vor allem allgemeine Bildung. Bildung bietet Zusammenhänge (»# 15.«) und kann Perspektiven verändern – zeigt künftige Möglichkeiten (»# 09. Möglichkeitsräume«), die über momentane Wirklichkeiten hinausgehen können.

»Bildung und Ausbildung, das wird heute hartnäckig verwechselt.« – schrieb der Journalist Wolf Lotter schon in »Die Stunde der Idioten« (Wirtschaftsmagazin brand eins, Heft Mai 2008). Er wies darauf hin, dass »[d]as Bildungssystem versucht, Wissen und Kreativität zu industrialisieren« und viele durch Ausbildung aufsteigen, »die einen ganz bestimmten Zweck erfüllt«. Der Philosoph Theodor W. Adorno hat das in seinem Buch »Theorie der Halbbildung« bereits 1959 auf den Punkt gebracht: »Die sich selbst zur Norm, zur Qualifikation gewordene, kontrollierte Bildung ist als solche so wenig mehr wie die zum Geschwätz des Verkäufers degenerierte Allgemeinbildung.« Er schrieb auch: »Halbbildung ist defensiv; sie weicht den Berührungen aus, die etwas von ihrer Fragwürdigkeit zutage fördern könnten.«

Der Philosophen Konrad Paul Liessmann schrieb in seinem Buch »Theorie der Unbildung« (2006/2008): »Wissen ist mehr als Information. Wissen erlaubt es nicht nur, aus einer Fülle von Daten jene herauszufiltern, die Informationswert haben, Wissen ist überhaupt eine Form der Durchdringung der Welt: erkennen, verstehen, begreifen. […] Im Gegensatz zur Information, die eine Interpretation von Daten in Hinblick auf Handlungsperspektiven darstellt, ließe sich Wissen als eine Interpretation von Daten im Hinblick auf ihren kausalen Zusammenhang und ihre innere Konsistenz beschreiben.« Und weiter: »Wer Teamfähigkeit, Flexibilität und Kommunikationsbereitschaft als Bildungsziele verkündet, weiß schon, wovon er spricht: von der Suspendierung jener Individualität, die einmal Adressat und Akteur von Bildung gewesen war.«

Abgeschlossene Ausbildung hat eine kurze Halbwertzeit – ständige Bildung ist nachhaltig und anschlussfähig!

Und nochmal Wolf Lotter (edition brand eins, Heft Februar - März 2021 – Erstveröffentlichung in brand eins, Heft September 2017): »Wer sagt: ›Fürs Leben lernen wir, nicht für die Schule‹, meint mit Leben nichts anderes als die Firma. Noch genauer: das, was die Firma gerade zu brauchen glaubt.« Was gerade gebraucht wird, hat eine kurze Halbwertzeit. Das macht Wolf Lotter am Beispiel der »lautstark vorgebrachten Forderung nach Programmierunterricht« deutlich: »Seit [Konrad Zuses] ›Plankalkül‹ von 1946 gab es Hunderte verschiedene Programmiersprachen, die kamen und gingen und nach denen kein Hahn mehr kräht. Was man ›coden‹ nennt, ist kurzlebige Technik, digitale Saisonware. […] Die Gleichsetzung von Programmiersprachen mit Einzelsprachen ist ein Denkfehler erster Güte. […] Natürliche Sprachen schärfen das originäre Denken. Programmiersprachen nicht.« Also – offen statt geschlossen!

Der amerikanische Autor und Regisseur Robert Wilson schrieb zur Bildung: »Vielleicht haben wir uns zu sehr spezialisiert – Geschäftsleute verstehen etwas von Ökonomie, Künstler verstehen etwas von Kunst, Wissenschaftler kennen sich mit Wissenschaften aus und Mathematiker mit Mathe – dabei kommt es für uns heute darauf an, andere zu verstehen, die aus anderen Gebieten kommen. Vielleicht würden wir uns als Individuen dann anders verhalten.« (edition brand eins, Heft Februar - März 2021 – Erstveröffentlichung in McKinsey Wissen 14 »Bildung«, September 2005.) Also – offen sein für Kontexte!

Bildung und die Erfassung von Kontexten fördert die Vorstellungskraft (als wahres Zeichen von Intelligenz – nach Albert Einstein) und reduziert sich nicht auf bloßes Wissen. Vorstellungskraft ist eine wichtige Voraussetzung für Selbstständigkeit. Also – sinnfällig!

Ich sehe hier, dass es damit noch lange nicht getan ist und wir direkt mit # 22. Mehr Bildung fortfahren müssen.

jk 17. August 2021

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