# 08. Wahrheit
Gibt es eine Wahrheit?
Die Antwort auf diese Frage ist: Nein! Eine Wahrheit kann es aufgrund unserer komplexen Welt nicht geben (schon gar nicht in Bezug auf das Universum oder die denkbaren Multiversen).
Einerseits liegt es daran, dass wir in unseren Beobachtungen auf sehr begrenzte Wahrnehmungssinne angewiesen sind und diese nur zum Teil mit technischen Mitteln erweitern können (die vorhandenen Mittel stellen lediglich den aktuellen Stand dar, der möglicherweise in Zukunft durch neue Entwicklungen überholt wird). Daher ist das was wir als Wissenschaft bezeichnen »Irrtum auf dem neusten Stand«, wie es der Chemie-Nobelpreisträger Linus Paul einmal feststellte.
Andererseits ist unsere Wahrnehmung naturgemäß absolut subjektiv und durch unsere emotionalen Erfahrungen beeinflusst. Wir sehen die Welt quasi durch eine emotional gefärbte Brille, konstruieren damit eine für uns wahrnehmbare Welt und sind unfähig objektiv zu sein. Bei circa 7,8 Milliarden Menschen auf dieser Erde gibt es demnach ebenso viele Wahrnehmungen, Welten und Wahrheiten.
Die in unserer Gesellschaft so hoch bewertete Objektivität ist bestenfalls eine grobe Annäherung an das, was wir als Wahrheit bezeichnen. Um uns zu verständigen und anzunähern verwenden wir Kategorien mit denen wir etwas bezeichnen. Die unterschiedlichen Perspektiven bleiben dabei jedoch bestehen und lassen sich nicht vereinheitlichen. Auch wenn wir Objekte (jeglicher Art) und Subjekte (jeglicher Charaktere / Phänotypen) gemeinsam betrachten, sieht sie doch jeder von uns aus einer anderen Wahrnehmungsperspektive.
Der Physiker Heinz von Foerster ist im Zusammenhang mit dieser Frage zu der Einsicht gekommen: »Wenn es keine Lüge gäbe, wäre alles, was gesagt wird, wahr. Aber mit Occhams semantischem Rasiermesser braucht das, was für alles gilt, nicht genannt zu werden. So kommt die Wahrheit erst zustande durch den Lügner: …«
»Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners«!
Dieses Resümee aus der Einsicht von Heinz von Foerster verweist darauf, dass der Begriff der Wahrheit eine beobachterunabhängige Welt voraussetzt – daher ist sein Ziel: »… den Begriff der Wahrheit selbst zum Verschwinden zu bringen, weil sich seine Verwendung auf eine entsetzliche Weise auswirkt. Er erzeugt die Lüge, er trennt die Menschen in jene, die recht haben, und jene, die – so heißt es – im Unrecht sind.« Daraus leitet er ab: »Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden. Die Berufung auf Objektivität ist die Verweigerung der Verantwortung – daher auch ihre Beliebigkeit.«
Der Beobachter ist nach Heinz von Foerster »für seine Beobachtungen, sein Sprechen und sein Handeln verantwortlich« und »mit dem Objekt seiner Beschreibung verbunden«. Wenn wir davon ausgehen, dass Beschreibungen immer selbstbezüglich sind und diese auf die klassische Logik überträgt, können Paradoxa entstehen. Was hält man zum Beispiel von einem Menschen, der sagt: »Ich bin ein Lügner«? Wenn man ihm glaubt, kann er kein Lügner sein, da er die Wahrheit gesprochen hat – dann hätte er aber gelogen, weil er sagte »Ich bin ein Lügner.« Nach der klassischen Logik muß ein sinnvoller Satz entweder wahr oder falsch sein. »Der Satz [aber] wird falsch, wenn man ihn für wahr hält, und wahr, wenn man ihn für falsch hält.«
Dieses Beispiel weist auf die Tatsache hin, dass Wahrheit immer subjektiv und damit relativ ist. Und das Wahrheit oft eine bewußte und ideologisch begründete Lüge ist, lässt sich an der häufig (insbesondere im politischen Raum) unterstellten, angeblichen Alternativlosigkeit erkennen, die mit einer »objektiven« Wirklichkeit begründet wird.
Ich beobachte immer wieder, dass die einseitige Konzentration auf eine scheinbar objektive Wirklichkeit (Wahrheit), unsere Wahrnehmung behindert. Davon losgelöst können wir uns vielfältige Wahrheiten und subjektive »Möglichkeitsräume« erschließen.
jk 11. September 2020
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