# 30. Design-Innovationen

Warum sind Innovation eher aus dem Design, als aus der Technologie zu erwarten?

Der französische Soziologe Gabriel [de] Tarde (1843 – 1904) hat in seinem ersten Hauptwerk »Les lois de l’imitation«, 1890 (dt.: »Die Gesetze der Nachahmung«, 2003) die Wechselwirkung von Imitationen und Innovationen analysiert. Er verweist auf zwei Arten der Nachahmung: »Genau das Gleichen zu tun wie das Vorbild oder das genaue Gegenteil.« Und weiter: »Nur einige wilde und außenstehende Geister grübeln hier und dort unter ihrer Taucherglocke inmitten der Wogen des gesellschaftlichen Ozeans über seltsame Probleme nach, die jeder Aktualität entbehren. Das sind die Erfinder von morgen.« Diese Erfinder sind heute immer öfter Designer/innen, die sich an Idealzuständen orientieren.

Jede Erfindung ist ein realisiertes Mögliches von vielen möglichen oder sogar notwendigen Erfindungen, die die »Muttererfindung [Ur-Erfindung], aus der jene Erfindung kommt, in ihrem Schoß trägt.« Von den realisierten Erfindungen überdauern jedenfalls nur die nützlichen, also die, die am besten auf zeitgemäße Probleme antworten – da jede Erfindung und Entdeckung eine Antwort auf ein Problem ist. Erfindungen und Nachahmungen stellen die elementaren sozialen Handlungen dar. Auf die Frage, was erfunden oder nachgeahmt wird, ist festzustellen, dass »das, was erfunden und nachgeahmt wird, und das, was nur nachgeahmt wird, […] immer eine Idee [ist], ein Wille, ein Urteil oder eine Absicht, in denen sich eine gewisse Dosis Überzeugungen und Begehren ausdrückt«. So Gabriel [de] Tarde. Er verweist im Zusammenhang mit sozialen Ähnlichkeiten und der Nachahmung auf die geniale Idee, die in den Fabriken benutzten Dampfmaschinen zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Fernreisen anzuwenden. Letzteres war eine Bedürfnis, das aus allen früheren Schiffserfindungen und deren Verbreitung entsprang. In der Idee, die Dampfmaschine zur Fortbewegung zu nutzen, ist die »Kreuzung einer Nachahmung« mit anderen zu erkennen. Diese »Kreuzung« würde er heute als Design-Innovation bezeichnen.

Innovation – als kulturelle und soziale Neuerungen – sind eher aus dem Design als aus der Technologie zu erwarten!

Ein aktuelles Beispiel von Design-Innovationen sind zum Beispiel die neuen CPU’s (M1, M2 …) für die Mac-Hardware von Apple, die die bestehende (an ihre physikalischen Grenzen stoßende) CPU-Technologie nutzt und neu gestaltet.

Der Journalist (und Mitbegründer des Magazins »brand eins«) Wolf Lotter schrieb in seinem Buch »Innovationen – Streitschrift für barrierefreies Denken« (2018): »Innovationen sind also nicht nur rein technischer Natur. Es ist eben nicht alles nur eine ›Frage der Technik‹, wie es das Marketing und die Werbung gern suggerieren. Technische, soziale und kuturelle Innovationen gehören zusammen. Eines bedingt das andere.« Er hat dies in seinem Buch »Strengt euch an! – Warum sich Leistung wieder lohnen muss« (2021) ergänzt: »Innovationen bestehen, so sagen wir uns, aus technischen Neuerungen, neuen Methoden und Verfahren. Doch im Kern sind sie viel mehr: kulturelle und soziale Erneuerungen.«

Kulturelle und soziale Erneuerungen entwickeln sich aus designrelevanten Innovationen. Denn Probleme und Fragen aus dem digitalen Wandel und der Klimaveränderung werden sich nicht nur technologisch lösen und beantworten lassen. Daher sollten die Designwirtschaft und die Designer/innen pointierter ihre Innovations-Relevanz hervorheben und dieser mutiger kommunizieren. Und wir sollten nicht nur die Designwirtschaft beobachten, sondern auch und insbesondere alle designrelevanten Berufe in allen anderen Branchen, Unternehmen und Institutionen. Alle sind gefordert, Design-Innovationen angemessen zu bewerten.

Ich beobachte und folgere daraus, dass das »Werten und Bewerten« von designrelevanten Berufen und Leistungen, sowie deren Innovations-Relevanz, zu den anspruchsvollsten und wichtigsten Herausforderungen für Dienstleister und Auftrag-/Arbeitgeber gehört.

jk 22. August 2022

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