# 07. Richtiges Leben

Wie kann es ein richtiges Leben im falschen geben?

Die Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen gibt, ist gerade in einer Krisensituation – wie der derzeitigen Corona-Pandemie – besonders prekär. Wie sollen wir uns verhalten? Gehen wir in eine selbstgewählte Quarantäne und vermeiden jeden direkten Kontakt? Schützen wir uns auch dort, wo es nicht durch die Exekutive vorgeschrieben ist? Verzichten wir auf umweltschädigende Flug-Reisen? Reduzieren wir unseren Konsum oder steigern wir ihn wie politisch erwünscht und steuerlich begünstigt – um das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln?

Neben diesen beispielhaften Verhaltensfragen sind viele in unserer Gesellschaft von existenziellen Problemen betroffen, in denen es um die beruflichen / unternehmerischen Einschränkungen und Perspektiven geht. Wie gehen wir damit um? Können wir unseren Beruf / unser Unternehmen überhaupt weiter betreiben? Lassen sich die in den letzten Monaten entstandenen Einkommens-Geschäfts-Verluste durch eigene Rücklagen oder Förderungen ausgleichen? Welche Möglichkeiten gibt es und wie können wir diese ergreifen, um unser Leben »richtig« zu gestalten – unter sich völlig ändernden Bedingungen für unser Wirtschaften und Umweltverhalten?

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Theodor W. Adorno hat diese Maxime ans Ende seiner »Reflexionen aus dem beschädigtem Leben: Asyl für Obdachlose« (#18 in seiner »Minima Moralia« (1944)) gesetzt. Sie ist einer der häufigst verwendeten, oft aus dem Zusammenhang gerissenen und falsch interpretierten. In seiner Reflexion setzte er sich mit der Frage des Wohnens und Eigentums auseinander. Er hat diese Maxime quasi widerrufen, in dem er meinte, dass der glaubwürdig ist, der sich bemüht, mit seinem eigenen Leben »die Existenzform vorwegzunehmen, die die eigentliche wäre« auch wenn dies einen Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen erfordern sollte (Vorlesung zur Moralphilosophie am 28.02.1957 – aus »Dem Leben Sinn geben« (2013) von Wilhelm Schmid).

Richtiges Leben ist, sich glaubwürdig zu bemühen, mit seinem eigenen Leben die eigentliche Existenzform vorwegzunehmen!

Ausgehend von den Fragen zum richtigen Verhalten und sinnfälligen Umgehen stehen rational-sachliche Fragen (wie zum Beispiel: Finanzplanungen, Förderungen und Wirklichkeiten) für viele im Vordergrund, da sich diese scheinbar leichter lösen lassen. Dabei werden oft emotional-beziehungsbezogene Fragen (wie zum Beispiel: Befürchtungen, Einstellungen und Möglichkeiten) verdrängt, da diese eine Auseinandersetzung mit sich selbst erfordern und schwieriger lösbar erscheinen.

Die in unserer Gesellschaft überbewertete Rationalität erzeugt eine alternativlose Wirklichkeit, die wie Naturgesetze gehandelt wird (wobei ignoriert wird, dass auch diese nur so lange gültig sind, bis sie durch neue Beobachtungen und Erkenntnisse widerlegt werden). Es entsteht dadurch eine Objektivität, die zur allgemeinen Moral erhoben, als Regel verbindlich wird und andere Denkweisen ausschließt.

Die in unserer Gesellschaft unterbewertete Emotionalität hingegen, eröffnet uns Zugang zu alternativen Möglichkeiten. Sie gibt uns den Raum für Subjektivität, die zur individuellen Ethik entwickelt, andere Denkweisen wahrnimmt, respektiert und einschließt. Der Physiker Heinz von Foerster hat vor diesem Hintergrund einen ethischen Imperativ formuliert: »Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.« Nur aus einer subjektiven Emotionalität heraus lässt sich ein richtiges Leben und die eigene Verantwortung dafür definieren – auch unter krisenhaften Verhältnissen.

Ich weiß aus eigenen Erfahrungen, dass uns die subjektive Beobachtung und kritische Reflexion hilft, Möglichkeiten wahrzunehmen und damit dem eigentlich richtigem Leben – trotz widersprüchlicher Verhältnisse – näher zu kommen. Das führt uns zu der Frage, ob es eine »Wahrheit« gibt und wie sie zu bewerten ist.

jk 28. August 2020

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