# 19. Private Regierung

Wie schränken Arbeitgeber unsere positiven Freiheiten ein und damit auch die politische Gleichheit?

Die auf den britischen Sozialphilosophen Adam Smith zurückzuführende Theorie der freien Märkte (die von den Neoliberalen verfochten werden) sollte auch zur Befreiung der Lohnabhängigkeit führen und von den Zwängen der staatlichen Obrigkeit und den Gängelungen der Arbeitgeber befreien. Daraus ist nichts geworden. Im Gegenteil: Die mächtigen ökonomischen Akteure kümmern sich nur wenig um die Freiheit und die Rechte von Arbeitnehmern. Der positive Zusammenhang zwischen freiem Markt und freiem Arbeiter ist aufgelöst. Ausbeutung und Überwachung von Angestellten und Scheinselbstständigen greift immer mehr um sich.

Die amerikanische Philosophin Elizabeth Anderson analysiert in ihrem Buch »Private Government. How Employers Rule Our Lives (and Why We Don’t Talk about It)« 2017 (dt.: »Private Regierung – Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden)« 2019) die geschichtliche Entwicklung, wie die Befreiung von Abhängigkeit, Zwängen und Gängelung nicht stattgefunden hat. Die industrielle Revolution hat demnach entscheidend dazu beigetragen. Elizabeth Anderson fragt, warum wir so reden, »als ob Arbeitnehmer bei der Arbeit frei sind«, anstatt darüber, »wie die Arbeitgeber das Leben von Arbeitnehmern einschränken« und »wie man Arbeitsplätze so gestalten kann, dass sie den Interessen der Arbeitnehmer mehr entgegenkommen«.

Die Mehrheit der Berufstätigen ist wirtschaftlich von ihrer Tätigkeit abhängig und damit auch vom Wohlwollen der meisten Arbeitgeber. Damit sind sie quasi der Gnade des Arbeitgebers ausgeliefert, was einer Unterwerfung gleichkommt. Für diese Gnade wird als Gegenleistung Gehorsam verlangt, was wie eine »private Regierung« wirkt, ohne jedoch an dieser teilzuhaben, also die positive Freiheit zu nutzen. Demnach ist die »private Regierung« eine »negative Freiheit« (wie in »# 18. Politische Gleichheit« beschrieben).

In der privaten Regierung sind die negativen Freiheiten der meisten Arbeitnehmer größer als die positiven!

In einer autoritären privaten Regierung treten die – bis auf Widerruf beschäftigten – Arbeitnehmer alle ihre Rechte an ihre Arbeitgeber ab, mit Ausnahme derjenigen, die ihnen durch das Gesetz speziell zugesichert sind. Die Freiheit des Eintritts und des Austritts aus jedem Beschäftigungsverhältnis und die formale Zustimmung der Arbeitnehmer in dieses abhängige Verhältnis, rechtfertigen nicht die Abtretung der Rechte.

Private Regierungen »setzen eine viel minutiösere, anspruchsvollere und umfassendere Überwachung der Beschäftigen durch, als demokratische Staaten das in irgendeinem Bereich außerhalb von Gefängnissen und dem Militär tun« (und aktuell im Lockdown der Corona-Epidemie). Die den Arbeitnehmern häufig auferlegte Kontrolle der Arbeitgeber wäre bei demokratischen Staaten nicht verfassungskonform. »Die negativen Freiheiten der meisten Arbeitnehmer sind de facto beträchtlich größer als die Freiheiten, auf die sie im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses einen gesetzlichen Anspruch haben.« (Elizabeth Anderson) »Nur der Wettbewerbsdruck, soziale Normen, mangelndes Interesse und schlichter Anstand hindern die meisten Arbeitgeber daran, ihre Autorität in vollem Umfang auszuspielen.«

Nur die Teilhabe an der privaten Regierung, durch Mitsprache der Arbeitnehmer, kann den Respekt für die Freiheit, die Interessen und die Würde von Arbeitnehmern ermöglichen. Eine Stellenhierarchie bedeutet nicht, dass die Inhaber höherer Stellen von der Rechenschaftspflicht gegenüber Untergebenen befreit sind oder diese bei der Entscheidungsfindung im Management keine Rolle spielen.

Ich kenne aus eigener Erfahrung mit den Abhängigen und deren Freiheitseinschränkung Alternativen, die mehr Raum für positive Freiheit ermöglichen: »Selbstständige«.

jk 10. Mai 2021

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