# 12. Unternehmer-Selbst

Wie ist das unternehmerische Selbst in neoliberalen Märkten zu bewerten?

Das unternehmerische Selbst bezeichnet – in Folge der zunehmenden neoliberalen Ideologie in Politik und Wirtschaft – »die Weise, in der Individuen als Person adressiert werden, und zugleich die Richtung, in der sie verändert werden und sich verändern sollen«. So der Soziologe Ulrich Bröckling in seinem Buch »Das unternehmerische Selbst – Soziologie einer Subjektivierungsform« (2007). Der Begriff der »Ich-AG« hat zur Jahrtausendwende den sozialen Wandel, im Verständnis der eigenen Person als Aktiengesellschaft, bezeichnet.

Durch den Rückzug des Staates aus einem flächendeckenden Sicherheitsnetz (wegen angeblich ökonomischen Zwängen), wurde die Arbeitskultur zu mehr Eigenständigkeit und Unternehmertum transformiert. Es ist ein »Prozess kontinuierlicher […] Selbstmodifikation«, der von dem Wunsch bewegt ist, »kommunikativ anschlussfähig zu bleiben, und getrieben von der Angst, ohne diese Anpassungsleistung aus der sich über Marktmechanismen assoziierenden gesellschaftlichen Ordnung herauszufallen«. Das Anforderungsprofil des unternehmerischen Selbst beinhaltet eine »erweiterte Selbstorganisation und -kontrolle«, einen »Zwang zur verstärkten Ökonomisierung« und eine zunehmende »Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung«.

Die Entwicklung zu gesteigerter Kontrolle, Ökonomisierung und Rationalisierung des Selbst, die den »Arbeitskraftunternehmer« kennzeichnet, ist besonders in zukunftsträchtigen Erwerbsfeldern – wie der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche, im Weiterbildungs- und Beratungs-Sektor und der sogenannten »New Economy« beziehungsweise den Start-ups – zu sehen. Die wachsende Zahl der Selbstständigen, die sich durch die bedingungsgebundene Förderung der Arbeitsagentur (oder ohne sonstige staatliche Hilfe) ohne Aussicht auf Wohlstand (den man mit der Gestalt des Unternehmers verbindet) durchschlagen, bilden die prekäre Variante.

Das unternehmerische Selbst wird in der neoliberalen Leistungsgesellschaft zur depressiven Selbstausbeutung!

Den wirklichen Risiken, mit denen das unternehmerische Selbst konfrontiert ist, stehen die möglichen Chancen zu einer erfolgreichen und positiven Entwicklung gegenüber. Der Journalist Wolf Lotter hat in seinem Essay »Unendliche Welten« (im Wirtschaftsmagazin »brand eins«, Juli 2020) Unternehmer als »Entscheider, Erneuerer, Endecker. Nichts brauchen wir heute mehr als das.« – bezeichnet. Das klingt nach konstruktivistisch »unendlichen« Möglichkeiten in ideologisch eingeschränkten Wirklichkeiten.

So gesehen ist das unternehmerische Selbst eine wichtige Voraussetzung, um sich Möglichkeiten zu erschließen. Allerdings braucht dies aber auch einen kulturell, ökonomisch, politisch und rechtlich unterstützenden Rahmen – mit anderen Worten: ein flächendeckendes Sicherheitsnetz. Ein Netz, dass sowohl Selbstausbeutung als auch Fremdausbeutung verhindert. In der ideologischen Wirklichkeit wird dagegen die Illusion verbreitet, jeder sei frei und grenzenlos selbstproduktiv. Daher wird die Fremdausbeutung zur Selbstausbeutung und das Leistungssubjekt ist nicht zu einem gemeinsamen Handeln fähig. »Wer in einer neoliberalen Leistungsgesellschaft scheitert, macht sich selbst dafür verantwortlich und schämt sich, statt die Gesellschaft oder das System in Frage zu stellen.« So der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in seinem Buch »Psychopolitik – Neoliberalismus und die neuen Machttechniken« (2014). Man richtet die Aggression gegen sich selbst und macht sich zum Depressiven. In der aktuellen Entwicklung der Pandemie-Krise wird diese Depression besonders deutlich, weil sich immer mehr Betroffene allein gelassen fühlen und die staatliche Förderung bei Selbstständigen offensichtlich nicht ankommen soll.

Ich beobachte wie sich Depression negativ auf das Erkennen von Möglichkeiten auswirkt, daher ist es wichtig, sich der Fremd- und Selbstführung in der »Unternehmer-Kreativität« bewusst zu sein.

jk 06. November 2020

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