Juergen Erbeldinger, Thomas Ramge
Durch die Decke denken – Design thinking in der Praxis
Eine Innovationsmethode kollektiver Kreativität und eine Managementmethode mit umgedrehter Transformations-Pyramide. Und das ohne Designer-Exklusivität und Wissenschafts-Attitüde.
Auf das Buch des Managementsberaters Juergen Erbeldinger und Journalisten Thomas Ramge bin ich durch Erik Spiekermann aufmerksam geworden (er hat es gestaltet). Da ich Erik’s gestalterische und unternehmerische Arbeit aus der Nähe kenne, war ich sicher, dass es sich hier nicht um eines der populären, oberflächlichen, einem Hype nacheilenden Werk und sogenannten (nur) »schönen Buch« handelt – sondern um einen ökonomisch und andeutungsweise politisch orientierten Erfahrungsbericht. Ich bin nicht enttäuscht worden, auch nicht in gestalterischer Hinsicht – das Buch ist vorbildlich lesefreundlich!
Gleich am Anfang – unter Warm-up – meinen die Autoren: »Ein Design-Thinker verfügt dank eines mehrstufigen Prozesses über die Fähigkeit, die Kernkompetenzen des klassischen Designs systematisiert auf seine Welt zu übertragen. Er kann mehr Neues schneller in die Welt bringen.« Damit wird deutlich, dass ein »Design-Thinker« nicht zwingend ein Designer sein muss – oder genauer formuliert, kein beruflicher Designer, wie es Klaus Krippendorff in »Die semantische Wende« differenziert.
Juergen Erbeldinger und Thomas Ramge belegen an vielen Beispielen, dass Design Thinking zu innovativen Lösungen führt und die Kreativität der Vielen die des seltenen Genies auf lange Sicht schlägt. Außerdem bringt Design Thinking Lösungen hervor, die auf eine höhere Akzeptanz stoßen, weil die Zielgruppe bei der Lösungsfindung eingebunden ist. Die Autoren sind davon überzeugt, dass »Design Thinking mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit nutzerorientierte Lösungen hervorbringt, an denen die gängigen Innovations- und Managementstrategien bisher scheitern.«
Aus meiner Arbeit als Coach mit einzelnen Designern, als Moderator mit Gruppen / Teams und als unternehmerisch Denkender möchte ich dies alles unterstreichen. Ausgehend von den akademisch-theoretischen Grundlagen des Design Thinking, hat mich vor allem die von den Autoren beschriebene Arbeit der Implementierung überzeugt. Ihr Buch ist eines von Praktikern für Praktiker.
Die praktische Anwendung von Design Thinking wird beschrieben in:
- Teil I in einem Meeting (ca. zwei Stunden)
- Teil II in einem Workshop (ca. ein bis drei Tage)
- Teil III in einem Projekt (ca. ein paar Wochen bis Monate)
- Teil IV als umfassende Managementmethode (zur dauerhaften Transformation)
Ein wichtiger Aspekt scheint mir noch der Hinweis zu sein, dass Design Thinking eine Methode ist, die die schöpferischen Ressourcen in interdisziplinären Teams nutzt. Daher empfehlen die Autoren, immer dann, wenn bis dato ungelöste Probleme in Meetings auf der Agenda stehen, Design-Thinking-Prinzipien einzusetzen. Für einen Workshop gelten die gleichen Grundregeln. Denn im Unterschied zum Meeting bietet ein Workshop die Chance, »den klassischen Design-Thinking-Prozess mit seinen – je nach Variante – drei, sechs oder sieben Stufen von Beginn an […] zu durchlaufen«. Im Projekt wird das im Workshop vermittelte Gefühl für die innovative Kraft und Fähigkeit zu guter Beobachtung erweitert, und zwar durch die Qualität der Beobachtung, die wiederum Grundlage und Treiber für die Qualität der Ergebnisse ist.
Das ideale Team für ein Design-Thinking-Projekt sollte interdisziplinär sein, mit empathie- und teamfähigen Mitgliedern, die gern experimentieren und integriert denken können. Es sollten ausreichend unterschiedliche Hierarchiestufen präsent sein und wann immer möglich Personen mit »T-Shaped-Profile« gewonnen werden, die dank Expertenwissen in die Tiefe gehen (der senkrechte Balken des Ts) und gleichzeitig eine generalistische Persepektive einnehmen können (der waagrechte Balken des Ts). Grundsätzlich gilt: »Jedes Design-Thinking-Team hat die Chance zu reüsieren, wenn der Moderator es richtig durch den Prozess führt.«
Juergen Erbeldinger und Thomas Ramge betonen immer wieder, dass ein großer Vorteil der Methode darin besteht, sie schrittweise einzuführen – im Meeting, im Workshop, im Projekt. Seinen Durchbruch wird Design Thinking aber erst erleben, wenn innovative Köpfe im Management seine eigentlichen Wert erkennen: »Design Thinking hat das Potenzial, Management selbst neu zu erfinden.«
Dies ist für mich die relevanteste Aussage in diesem Buch – Design Thinking als Managementmethode auf Organisationsebende zu heben. Die Autoren beschreiben es als Innovationspyramide mit umgedrehten Ebenen: Meaning, Management, Geschäftsmodell, Marke, Produkte und Prozesse.
»Am Sockel d[ies]er Innovationspyramide können wir mit Design Thinking selbst noch effizienter werden. An der Spitze […] schaffen wir ein sich selbst verstärkendes System.« Ich bin sicher, dass die Autoren hier völlig richtig liegen. Meine beruflichen und unternehmerischen Erfahrungen (positive und vor allem auch negative) lassen mich zu diesem Schluss kommen. Sie wollten noch einen fünften Teil über das »weite Feld der Weltverbesserung« schreiben, heben sich das aber für ein anderes Buch auf. Nun hoffe ich, nicht lange darauf warten zu müssen. Bis dahin lesen Sie dieses Buch, und machen Sie selbst Ihre praktischen Erfahrungen mit Design Thinking.
Diese Rezension wurde erstmalig veröffentlicht auf www.designersbusiness.de (05.2014).

Juergen Erbeldinger, Thomas Ramge
Durch die Decke denken – Design thinking in der Praxis
Verlag Redline, München (2013)
ISBN 978-3-86881-479-8